Tagung

Unendlich viele Freiheitsgrade im öffentlichen Raum

Donnerstag 5. März 2020, 9:30 bis 17 Uhr

‚Freiheitsgrad‘ ist ein Begriff aus der Physik, der voneinander unabhängige veränderliche Parameter eines Systems bezeichnet. Die Quantenfeldtheorie beschreibt Wechselwirkungen von Feldern untereinander durch unendlich viele Freiheitsgrade.

Tagungsvideo

Video ‚Unendlich vieleFreiheitsgrade – im öffentlichen Raum‘; Dauer 18:11 min

Die interdisziplinäre und transinstitutionelle Tagung „Unendlich viele Freiheitsgrade“ wertet sieben Jahre künstlerischer Arbeit am Wittenberger Weg aus. Sie geht der Freiheit im Denken und Handeln nach, die künstlerisch begleitete Prozesse systemisch eröffnen und untersucht, wie durch sie gemeinsamer öffentlicher Raum entsteht. Die Ausgangsfrage lautete: Verändert – und wenn ja wie – ein künstlerisch begleiteter, ergebnisoffener Prozess eine scheinbar unlösbare Situation?

Die Differenzierung der Tagungsthemen in eine große Zahl von Unterthemen ermöglicht produktive Zusammenarbeit in Gruppen von bis zu zehn Personen. Nach dem Projektprinzip werden die Themen aus dem Projekt heraus von Kindern, Jugendlichen und Studierenden vorbereitet und zusammen mit Tagungsteilnehmer*innen und Expert*innen weiterentwickelt.

Das Viertel am Wittenberger Weg in Düsseldorf Garath wurde in den 1950ern als Siedlung für obdachlose Familien gebaut. Seine städtebauliche Isolation führte dazu, dass die bisherigen Versuche, die Sozialwerte zu verbessern, nur relativ wenig veränderten. „Wenn Du dort etwas bewegst, helfen dir alle“, so Peter Zerfaß, Schulleiter der Alfred-Herrhausen-Schule, 2013 über das Viertel.

2013 entwickelten drei Jugendliche die Grundidee für das Projekt: „Ein offener, selbst ausgedachter Raum, an dem die Qualitäten der Menschen und ihre Geschichten sichtbar werden, in dem man selbst ein Praktikum machen und die Eltern vielleicht Arbeit finden könnten – ein Café“. Ermutigt ihren eigenen Beobachtungen und Impulsen zu vertrauen gingen sie in den Austausch mit Studierenden, Architekt*innen, Planer*innen, Künstler*innen, Politiker*innen, Stadtverwaltung und Gastronom*innen. Dabei entstand der architektonische Entwurf für einen Raum, den weder Fachleute noch die beteiligten Kinder und Jugendlichen hätten alleine finden können: das Wiesencafé. Die Form spiegelt den Prozess seiner Entstehung.

2017 konnten der Grundriss als sichtbare und nutzbare Open Air Platte gebaut werden. 2017, 18 und 19 wurde die Bodenplatte zur Bühne, zum Treffpunkt, zum Kunstort. 2020 werden die Gebäudewände in einer seit etwa 100 Jahren vergessenen Lehmbautechnik errichtet. Lehmwellerbau ermöglicht eine zeitgenössische Formensprache, nutzt Stroh und Lehm aus der Region. An dem als „Bauhütte“ bezeichneten inklusiven Projektteil sind mehrere Hochschulen und etwa 15 weitere Bildungseinrichtungen beteiligt.

Auf dem langen Projektweg bewahrheitete sich die Ausgangsaussage von Peter Zerfaß mehrfach. Immer wieder verdeutlichten aber auch Widerstände lange bestehende Abhängigkeiten und Strukturen. Gemeinsam denken und handeln setzt konstruktive Energie frei. Es widerspricht aber gleichzeitig der gesellschaftlichen Verteilung von Hierarchie, Verantwortung und Macht. Im Projekt wurde die Brisanz der jeweiligen Konzepte und Selbstkonzepte in ihrer antagonistischen Dynamik bewusst.

Die Tagung ist ein Beitrag zum Verbundprojekt 100 jahre bauhaus im westen. Sie wagt sich an ein großes Thema unserer Zeit: Wie gelingt es, die Auflösungstendenzen des Privaten und Öffentlichen als Herausforderung zu begreifen und in diesem Prozess neue, gemeinsam erfundene und getragene Räume zu schaffen?

Ablauf

  • Begrüßung und Vorstellung
  • Inputs und Gruppenarbeit an vorbereiteten Thementischen. Arbeitsstruktur: Vorbereitung der Tische durch Kinder/Jugendliche/Studierende. Moderation durch den/die eingeladenen Experten/Expertin, gemeinsame Arbeit. Die Diskussion an jedem Thementisch wird dokumentiert (mit Video/Ton aufgezeichnet)
  • Präsentation der Ergebnisse
  • Was machen wir daraus? – Formulierung gemeinsamer Visionen im Plenum.

Tagungsthemen

Die Tagungsthemen werden 2019 in Theorie und Praxis sorgfältig vorbereitet. Die Differenzierung in eine große Zahl von Unterthemen ermöglicht produktive Zusammenarbeit in Gruppen von maximal zehn Personen. Nach dem Projektprinzip werden die Themen aus dem Projekt heraus von Kindern, Jugendlichen und Studierenden vorbereitet und mit ExpertInnen aus den jeweiligen Bereichen zusammen bearbeitet.

    1. Öffentlichen Raum schaffen
      (Handlungsraum und Eigenmacht. Wie wird Raum geplant, wer handelt?)
    2. gemeinsamer Raum
      Raum gemeinsam erfinden (Wie kommen Akteure zusammen, die sonst nicht zusammenkommen? Beispiel Wiesencafé und Gesamtgymnasium)
    3. Utopischer Raum
      (Was sind unsere Zukunftsvisionen?)
    4. Soziale Grenzen und Lücken im System Was wollen wir? (Schranken, Abgrenzung, Verbindung? )
    5. Offener Raum
      Wie arbeitet zeitgenössische Kunst? (Welche Strukturen funktionieren bei uns und bei anderen?)
    6. Städtebau von Innen?
      Stadtraum und Quartiersentwicklung Benrath-Süd. (Was können wir zur Struktur und Gestalt des gegenüberliegenden 22 Hektar großen Areals neuer Stadt beitragen?)
    7. Wellerlehmbau
      Wir planen das Wiesencafé als ersten öffentlichen Lehmweller-Neubau Europas
      (Wunschziegelproduktion fürs Wiesencafé)
    8. Gebauter Raum
      Größe und Form (Was bewirkt, dass ich mich in einem Raum frei und wohl fühle? Wie soll er sein?)
    9. Akustischer Raum
      (Wie integrieren wir Stille, Geräusch, Klang, Lärm?)
    10. Farbraum
      (In welcher/n Farbe/n möchten wir sein?)
    11. Naturraum
      Garten 2050 (Wie sind Pflanzen, Tiere, Wasser, Luft, Licht einbezogen?)
    12. Zusammen essen
      Geschmack, Kochen, Essen(Wie verbindet gemeinsames Kochen und Essen?)
    13. Wiesencaféökonomie
      Wir leben in einem wirtschaftlichen Raum. (Wie bestehen wir im kulturellen und wirtschaftlichen Raum?)
    14. Das große Ganze und die Zeit
      Wofür ist gut, wenn es lange dauert? (Was soll schnell geschehen?)
    15. Bildungsraum
      Die Alfred-Herrhausen-Schule hat das Projekt bis hierher getragen. (Was hat Bildung mit Raum zu tun? Wie bereichern Schulen Stadt? Was wurde bislang übersehen?)
    16. Politischer Raum
      Was soll politisch geschehen? (Was kann Politik?)
    17. Öffentlicher Raum im digitalen Zeitalter?
      (wie verändert die digitale Vernetzung öffentlichen Raum. Was bewegt körperlich präsent zu sein und ihn als eigenen Raum zu erfinden und zu nutzen?)
    18. Baukultur und Kommunikation
      Wir haben Kultur geschaffen. (Woran merkt man das? Wie kriegen wir es hin, dass ganz Düsseldorf das Wiesencafé kennt? Was haben wir davon?)

Tagungsort

Beheiztes Tagungszelt auf der Wiese neben dem „Wiesencafé“ am Schwarzen Weg/Wittenberger Weg in Düsseldorf Garath.

Projektpartner

  • Architektenkammer NRW
  • Institut der Moderne im Rheinland
  • Landschaftsverband Rheinland
  • Zentrum für Peripherie NRW

Themen / ReferentInnen

  • Eingangsimpuls, Idee und Konzept, Ute Reeh, Zentrum für Peripherie
  • Sozialer Raum Reinhold Knopp, Hochschule Düsseldorf
  • Eigenmacht und Utopie Jesko Fezer, Hochschule für bildende Kunst Hamburg
  • Zwischenraum Folke Köbberling und Irene Hohenbüchler
  • Akustischer Raum, Christopher Dell
  • Gemeinsamer Raum Thorsten Nolting, Diakonie Düsseldorf
  • Naturraum Carl-Friedrich Schröer, Kulturjournalist
  • Farbe Axel Buether, Bergische Universität Wuppertal
  • Geschmack, Kochen, Essen Felix Ersig
  • Wellerlehmbau Eike Roswag Wellerlehmbau
  • Zeit Peter Füssenich Dombaumeister Köln
  • Architektur Christoph Schmidt,
    Jörg Leeser Hochschule Düsseldorf PBSA
  • Weiter wachsen Stadtentwicklung von Innen,
    Andrea Hofmann, Raumlabor Berlin,
    Christoph Schäfer, Hamburg
  • Baukultur, Kommunikation Christoph Kremerskothen, Baukultur NRW
  • Bildung und Diversität, Birgit Planken Maria Montessorigesamtschule Düsseldorf
  • Digitale Räume Jasmin Grande, Institut der Moderne im Rheinland
  • Raum zeitgenössischer Kunst Kathrin Jentjens, Neue Auftraggeber
  • Politischer Raum Klaudia Zepuntke, Bürgermeisterin der Stadt Düsseldorf

Tagungspublikation

Es wird eine Tagungspublikation im Fraunhofer Verlag Stuttgart erscheinen.

© Zentrum für Peripherie 2019