Artists in Wittenberger Weg
Das Zentrum für Peripherie rückt mit dem Stipendium Artists in Wittenberger Weg die Form von Prozessen als relevantes künstlerisches Feld in den Blick. Es bietet mit Prozessen arbeitenden Künstlerinnen und Künstlern am Wittenberger Weg in Düsseldorf-Garath Raum für die Entwicklung ihrer Arbeit.
Stipendien
Die drei Abbildungen stehen für drei bisherige wegweisende Etappen des Projekts Arm oder Reich?, aus dem auch das Stipendium Artists in Wittenberger Weg hervorgegangen ist.
Modell Straßencafé von Asem und Alpha, Schüler der Alfred-Herrhausen-Schule in Düsseldorf-Garath, 2013.
Architekturmodell. Modellbauwerkstatt der PBSA nach den Plänen für den Bauantrag (Büro Molestina Architekten Köln) auf der Basis des ausgearbeiteten Entwurfs der Kinder und Jugendlichen in Zusammenarbeit mit Architekturstudenten der Peter Behrens School of Art Düsseldorf, 2016.
Die realisierte Bodenplatte für das Café, 2017.
Artists in Wittenberger Weg
Text: Ute Reeh
Ob und wie ein ergebnisoffener, künstlerisch begleiteter und strukturierter Prozess eine scheinbar unlösbare Situation verändert, war die Ausgangsfrage zum Projekt Arm oder reich?, aus dem Artists in Wittenberger Weg hervorging. Zeitgleich mit dem Projektbeginn gründete ich der Annahme folgend, dass neue Ideen in gesellschaftlichen, sozialen, geografischen und gedanklichen Peripherien entstehen, das Zentrum für Peripherie.
Bereits 2013 hatten mir drei Jugendliche ihr Viertel am Wittenberger und Perleberger Weg in Düsseldorf-Garath erklärt, das in den 1960er Jahren als Siedlung für obdachlose Familien gebaut worden war. Sie analysierten, was gut und weniger gut läuft und entwickelten die Grundidee: „Ein offener, selbst ausgedachter Ort, an dem die Qualitäten der Menschen und ihre Geschichten sichtbar werden, in dem man selbst ein Praktikum machen und die Eltern vielleicht Arbeit finden könnten, ein Café.“
Ich ermutigte die beteiligten Kinder und Jugendlichen, ihren eigenen Beobachtungen und Impulsen zu vertrauen. Gut vorbereitet gingen sie in den Austausch mit Studierenden, Architekten, Planern, Künstlern, Politikern, Stadtverwaltung und Gastronomen. Dabei entstand ein architektonischer Entwurf, den weder Fachleute noch Kinder alleine gefunden hätten. Seine Form spiegelt den Prozess seiner Entstehung. 2017 konnten wir den Grundriss als sichtbare und nutzbare Open Air Platte mit Unterstützung der Landesinitiative Stadtbaukultur NRW, der Holcim AG, der Sevinc-Stiftung und der städtischen Wohnungsgesellschaft Düsseldorf bauen. Sie wurde 2018 zur Bühne, zum Treffpunkt und zum Kunstort.
Parallel zum Projekt am Wittenberger/Perleberger Weg in Düsseldorf begleitete ich die beiden ostdeutschen Städte Wittenberge und Perleberg in einem Stadtentwicklungsprozess mit künstlerischen Mitteln. In dieser doppelten Beobachtung wurde mir die Brisanz der jeweiligen Selbstkonzepte bewusst: ökonomisch/sozial, arm/reich, mächtig/ohnmächtig, abhängig/unabhängig, sozial/asozial. Aber auch ungewollte Wechselwirkungen von Hilfen und Subvention, sozialer Armut und Abhängigkeit wurden deutlich.
Der lange Prozess, in dessen Verlauf 2018 Artists in Wittenberger Weg entstand, hat etwas verändert. Zum Herbstanfang 2018 stand ich in der Abenddämmerung im Gespräch mit Frauen aus dem Viertel neben dem Nussbaum, unter dem Jan Philip Scheibe sein Lied über den Baum im Herbst sang. „Eigentlich ist es doch schön hier!“, sagte eine der Frauen. Und dann mit gedämpfter Stimme fuhr sie fort: „Man sagt, wir seien asozial, aber das stimmt doch gar nicht.“
Es ist mir ein Anliegen, mit diesem Stipendium dazu beizutragen das Potenzial zeitgenössischer Kunst, Systeme und Zusammenhänge sichtbar und damit veränderbar zu machen, ins gesellschaftliche Bewusstsein zu rufen.
Kontext
Plattform Wiesencafé