Artists in Wittenberger Weg

Ingke Günther & Jörg Wagner

Im August 2021 sind Ingke Günther und Jörg Wagner Stipendiaten am Wittenberger Weg gewesen.
Vom 17. bis zum 21. August luden sie mit DA SEIN_KLEINE BRÖTCHEN BACKEN auf die Plattform am Wittenberger Weg ein.

Erste Tageslosung — putzen, reparieren, bauen, tanzen, backen

Die Plattform ist ein Floß und treibt durch den Regen. Wir kommen an, bauen auf, arbeiten uns ab. Es ist kühl und wir tanzen uns warm. Wurzelbürsten, Hefeteig und rote Ponchos bestimmen den Tag. Kleine Brötchen gibt es natürlich auch bei Regen. Sechs Stunden konzentriert und mit Energie auf dem Floß – nun sind wir DA.

Zweite Tageslosung — anders bauen, weiter schrubben, wieder backen und tanzen, warten

Mit uns HIER sind heute diejenigen, die sonst DA sind. „Euer Floß heißt Bühne“, sagen die Kinder und übernehmen die Wurzelbürsten. Grünes Mooswasser fließt über Beton. Der fliegende Bambusbau muss nicht mehr als Sturmnotlösung errichtet werden – er ist gewachsen. „Was macht ihr? Kann ich helfen?“ Zwei Sätze, die die nächsten Tage begleiten werden. Der Teig fühlt sich gut an. Kinderhände formen. Wir kommen nicht zum Abwarten, wir werden beschäftigt. Das Backblech ist fix leer gegessen. Warme Brötchen im Bauch.

Dritte Tageslosung — weiter machen, Pause machen, schreiben

Ritual: Jeder Tag auf der Bühne beginnt mit dem Bau des Unterstandes für uns und den Herd. Wir probieren und variieren. Die Plattform ist eine Fläche, aber auch ein beschützender Raum. Hier branden die Kinder der Siedlung wie Wellen an und verschwinden plötzlich wieder. Es ist ein Kommen und Gehen. Wir sind DA, machen weiter und Pause und bekommen Besuch aus der Stadt. Auf dem Betonring um die Fläche wächst Schrift an. Leuchtend umfängt sie die Bühne und erzählt von unseren Tätigkeiten vor Ort.

Vierte Tageslosung — HIER + DA SEIN

Heute wird die Bühne zum Gastraum. Der Wittenberger Weg ist Teil der „Kunstpunkte“. Wir verdoppeln die Teigmenge und bauen das Bambusdach ein bisschen größer. „ALLE sehen, was wir machen,“ sagt Milano, der mit seinem Bruder längst zu einem Teil der Witti-Bühnen-Familie geworden ist und täglich hilft. Unser Tun strahlt in die Siedlung hinein – noch heiße Brötchen werden von rennenden Kindern fortgetragen. Im Gastraum mischen sich Menschen von HIER und DA. Die Sommernacht verwandelt Plattform und Umgebung in eine Filmkulisse. Die letzten Gäste gehen um Mitternacht.

Fünfte Tageslosung — wiederholen und tafeln

Als Sonnendeck gibt sich die Plattform heute. Wir schwitzen und bauen den Bambusunterstand so schön schief auf wie noch nie. Und die Backstube wird voller: Die Teams wechseln. Es wird geknetet, geformt, gewartet, verkostet und verteilt. Der Umgang mit dem DA_SEIN in Form von Worttafeln entfaltet sich wie von selbst. Es werden Variationen und Spielideen gefunden. Ein Chor, der „HIER! DA! SEIN!“ murmelt oder ruft, schwillt immer wieder an.

Sechste Tageslosung — bleiben und gehen

Unser letzter Tag auf dem Floß/der Bühne/im Gastraum/auf dem Sonnendeck. Der Kreis schließt sich mit dem Bau einer sturmtauglichen Zeltvariante. Doch das angekündigte Unwetter bleibt aus. Der Hund aus der Stadt – groß, weiß und freundlich – begeistert die Kinder. Wir backen, spielen, reden, lümmeln. Die Sonne unterstützt ein ergeizloses DA_SEIN. Unseren Abschied leiten wir ein, indem die Buchstaben vom Betonring abgetragen werden. Die geformte Kugel, in der alle Witti-Bühnen-Worte stecken, nehmen wir mit. Ein letztes Mal wird abgebaut und weggeräumt. Wir gehen.

Kurzbiografien

Das Künstlerpaar arbeitet seit 1999 zusammen und ist darum bemüht, den Nahbereich des Alltags zu reflektieren. Im Fokus stehen dabei kontextbezogene und prozessorientierte Projekte, Interventionen im öffentlichen Raum sowie gestaltete Situationen, die Begegnungen provozieren. Ihr Interesse gilt Phänomenen und Orten der unmittelbaren Lebenswirklichkeit – wie beispielsweise dem Abendbrot, Kiosk oder Rastplatz.

Ingke Günther (M. A.) hat Kunstpädagogik und Kunstgeschichte studiert; Jörg Wagner absolvierte ein Gaststudium an der Städelschule und versteht sich als Autodidakt. Er ist aktuell künstlerischer Mitarbeiter am Institut für Kunstpädagogik der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Gemeinsam hatten Günther/Wagner dort von 2014 bis 2016 die Gastprofessur Kunst inne. Seinen Lebens- wie Arbeitsschwerpunkt hat das Künstlerpaar jenseits der künstlerischen Zentren gewählt. Sie waren u. a. zum Festival der Regionen, als Projektstipendiaten im DA Kunsthaus Kloster Gravenhorst oder zum Pilotprojekt Gropiusstadt eingeladen. Ansonsten findet ihre Freude am Austausch ihren Niederschlag in der kuratorischen wie künstlerischen Arbeit des interdisziplinären Künstler:innenkollektivs gärtnerpflichten.