Interdisziplinärer Gestaltungswettbewerb zur Integration des Schallschutzes in den Stadtraum von Düsseldorf im Rahmen des Infrastrukturausbaus zum Rhein-Ruhr-Express RRX
LEHM – gefaltete Erde
Team
Federführender Verfasser:
– Zentrum für Peripherie (Ute Reeh), Düsseldorf
Weitere Verfassende:
– Haascookzemmrich STUDIO 2050 (Martin Haas), Stuttgart
– Lehm Ton Erde Baukunst GmbH (Martin Rauch), Schlins
– Knippershelbig GmbH (Dr. Matthias Oppe), Berlin
Fachberater:
– Lehmbau Lovis UG (Christian Hansel), Großponsa
– SnW Ingenieure GbR, (Dr. Jan Mittelstädt), Berlin
– Bosch & Partner GmbH (Dr. Dieter Günnewieg), Hannover
– Institut für Ökologie, Fachgebiet Ökosystemkunde, TU Berlin (Anika K. Gasthof), Berlin
Künstlerisches Konzept
Die neuen Lärmschutzwände in Düsseldorf werden aus dem natürlichsten aller amorphen Baustoffe, Lehm, aufgeschichtet. Das Material aus Bodenaushub, Stroh und Reet verbindet die Vorzüge der uralten Wellerlehmtechnik in Bezug auf Langlebigkeit, Dauerhaftigkeit und hoher Stabilität hinsichtlich Erschütterungen und Schallundurchlässigkeit mit modernster Fertigungstechnik. Wellerlehm bindet Kohlenstoff und ist zu 100% rückführbar. Die Wellerlehmwände bringen die Natur in die Stadt und nutzen eine bewährte energiearme Bautechnik in technologisch modernisierter Modulbauweise.
Charakter
Stabil, wie ein schützender absorbierender Körper strukturiert die Wand die Stadt. Im Wechsel umschließt sie und gibt den Blick wieder frei. Die Wellerlehmwand bringt Natürlichkeit und Natur in die Stadt, uns nahe, berührbar, vielfältig, rhythmisch und subtil in einer sich nie ganz wiederholenden Form. Fahrgäste erleben vom Zug aus im Vorbeifahren einen Wechsel von Durchblick und einer gestalteten und sich verändernden Rhythmik der Wand. Die Blicke in die Stadt hinein werden zu etwas besonders intensiv Wahrgenommenem. Aus dem Zug heraus wechselt der Blick in die Stadtlandschaft mit dem Blick auf eine Wand ab, welcher nie langweilt, da die Wand immer wieder andere Lichtschattierungen zeigt und in deren natürlich erscheinenden texturierten Oberfläche sowohl Regelmäßigkeiten als auch Unregelmäßigkeiten vorkommen.
Lebensraum
Lehm und Landschaft verschmelzen. Lärmschutz verbindet Baukultur, Stadt, Landschaft, Mensch und Raum. Die gefalteten Wellerlehmwände bieten neue Horizonte. Einerseits werden die Menschen vor den Auswirkungen des Lärms geschützt, anderseits schafft die Lehmwand einen neuen vertikalen Naturraum. Es entsteht ein neuer Horizont für die Stadtbewohner. Die Wand modelliert den Klang der Stadt. Ein Ort an dem man den Geräuschen von Vögeln, Menschen, Lachen und Leben lauschen kann.
Blickbezüge
Um trotz notwendigem Schallschutz Blickbezüge zu ermöglichen, sind in Bereichen, in denen die Wand weit genug vom schützenswerten Stadtraum entfernt steht, die Höhe der Wand um zwei Meter reduziert. Die starke Wellerlehmwand bietet eine Auflagefläche für eine Abdeckung mit integriertem WHIS Diffraktor, der die Schallabschirmung übernimmt. Dadurch wird ermöglicht, an diesen Stellen die Höhe der Lärmschutzwand auf das Niveau der Zugfenster zu verringern, sodass aus dem Zug weiterhin die Stadtumgebung wahrgenommen werden kann.
Ästhetik der Form
Die Wand formt je nach Abschnitt und Gegebenheiten eine unregelmäßig gefaltete Gestalt. Während sie an engen Stellen, an denen jeder Zentimeter zählt, minimal wahrnehmbar ist, kragt sie an anderen Bereichen weiter aus. So können mehrere Funktionen verbunden werden: Die Form wirkt statisch stabilisierend und die Wand kann schlanker gebaut werden. Außerdem bewirkt die Faltung das Heraustreten aus der Fläche und erzeugt eine gegliederte Struktur, die ästhetisch anspricht. Die unterschiedliche Orientierung erzeugt ein Wechselspiel von Licht und Schatten. Durch die Faltung wird die Lärmschutzwand zu einem architektonischen Objekt.
Die dargestellte Gesamtkonzeption zeigt dabei die Konzeptidee der gefaltetetn Wand. Die genaue Faltung in Form und Winkel wird letztlich am jeweiligen Ort definiert und in Gesprächen mit Anwohner:innen und Beteigten entwickelt werden.
Ästhetik des Materials
Lehm ist ein Naturmaterial. Je nach Zusammensetzung des Materials ergeben sich immer neue Farbnuancen. Jeder verwendete Boden bringt seinen eigenen Grundton mit. Die Zusammensetzung
des Wellerlehms aus lehmhaltigem Bodenaushub und Stroh/Reet führt zu unterschiedlichen Texturen und Farben an der Oberfläche und lässt das Material spürbar und erlebbar machen. Je nach Standort beeinflussen Sonnenstand und Witterung die Wirkung des Lehms. Abhängig von der Witterung verändert sich die Oberfläche der Wand. Regen färbt die Lehmstruktur dunkelbraun bis grau-schwarz, bevor sie wieder zu ihren hellen Farbtönen zurückkehrt. Es lassen sich Jahreszeiten und Wetterlagen an der Lehmoberfläche ablesen, was durch die Bepflanzung mit verschiedenen Rank- und Kletterpflanzen unterstützt wird. Diese Veränderlichkeit sorgt für eine natürliche Individualität und macht das Material, die Wand und seine Umgebung lebendig.
Ökologischer Ansatz im Hinblick auf den Beitrag zur klimaneutralen Metropole
Die Wand schafft ein Habitat, das sich selbst erhält und nicht nur Pflanzen und Insekten Lebensraum bietet, sondern auch die Menschen durch Natürlichkeit und Formenvielfalt erfreut. Für die Klimaziele der Stadt sind folgende Faktoren relevant: Die Wand wird lokal hergestellt und der Wellerlehmanteil ist ohne Aufbereitung zu 100% in den Materialkreislauf rückführbarer. Reet und Schilf sind Kohlenstoff bindendende Baustoffkomponenten aus der Region. Die Verwendung von örtlichem Bodenaushub verhindert den Abstransport dieses sonst als Abfall klassifizierten Materials reduziert CO2-Ausstoß und spart Kosten. Darüber hinaus wirken die massiven Wände lokal klimatisch ausgleichend. Abends geben sie Wärme ab, tagsüber die Kühle der Nacht. Die Lehmlärmschutzwand bietet verschiedenen Insektenarten einen Lebensraum, wie den geschützten Solitärbienen und seltenen Wespenarten.
Materialkreislauf
Die Ansprüche an den Lehm als Grundstoff für Wellerlehmmasse sind gering, sodass in weiten Teilen der Welt lokaler oder regionaler Bodenaushub genutzt werden kann. Dieser ist derzeit in Europa bei Bauvorhaben als Abfall klassifiziert und muss kostspielig auf Deponien entsorgt werden.
Ein ähnliches Abfallproblem stellt sich beim Mähen von sogenannten Ausgleichsflächen mit Paludikulturen, Straßenbegleitgrün und Abmagerungsflächen dar. Dieses Schnittgut ist aus landwirtschaftlicher Sicht wenig brauchbar. Mit Wellerlehm können die beiden momentan nicht genutzten „Stoffe“ natürlichen Ursprungs – Bodenaushub und bislang nicht nutzbares Pflanzenschnittgut – zu Komponenten eines ökonomischen Baustoffs werden und damit Stoffkreisläufe auf klimaschonende Weise geschlossen werden.